Einführung

EINFÜHRUNG 


Das „Allgemeine Gebet“ oder „Gebet der Gläubigen“, üblicherweise „Fürbitten“ genannt, ist bis heute eine stilistische und geistliche Schwachstelle der erneuerten Liturgie. Viele Gläubige nehmen sie eher hin, als daß sich in ihrem Gebet unterstützt fühlten. Die Fürbitten, seit früher Zeit Teil der römischen Liturgie, waren im Laufe der Zeit aus der Meßliturgie verschwunden, bis die liturgische Bewegung und die daraus folgenden Liturgiereformen des römischen Ritus in den Jahren 1965 und 1969 sie wiederbelebt haben. 


Es gibt seitdem viele Vorschläge für die Fürbitten, auch aus jüngster Zeit, doch findet sich darunter weniges, was das oben genannte Problem behebt: Hier sind z. B. die Fürbitten eine Wiedergabe der Nachrichtenmeldungen, da sind sie von versteckten moralischen Appellen durchsetzt („Laß uns“, „Hilf uns“, „gib uns die Kraft“...), dort sie sind bemüht, sozusagen mit katechetischem Impetus aus den Lesungstexten des Tages – oder gar aus der Predigt – Konsequenzen zu ziehen (was der Verfasser auch versucht und dabei Widerspruch von wohlmeindenden Gläubigen erfahren hat), hier wird Gott vorgeschlagen, wie er das Problem lösen soll, da sind die Bitten so konkret, daß man peinlich berührt ist, usw.. Die meisten Versuche befriedigen spirituell und ästhetisch nicht. 


In dem Anliegen, „ausgesprochene“ Gebetsanliegen des Gottesvolkes in die (Gabenbereitung der) Messe einzugliedern, – die Alternative wäre die Aufgabe der Fürbitten – soll hier nicht den vielen Fürbitt-Vorlagen einfach eine weitere hinzugesellt werden. Ziel ist vielmehr, wie es Papst Benedikt XVI. / Joseph Ratzinger einmal gefordert hat, daß es auf Dauer zu wenigen, dann irgendwann klassischen Formularen komme, die sich in einem längeren Prozeß der Erprobung herauskristallisieren werden. Es ist also ein Erprobungs- und Diskussionsvorschlag. Der Verfasser ist für Rückmeldungen dankbar. 


Die vorgelegten Fürbitten stellen zu den vielen heute erhältlichen eine Alternative dar, weil sie sich von manchen Selbstverständlichkeiten und Gewohnheiten lösen:

   Die heute oft übliche Verbindung zu den Lesungstexten wird aufgegeben. 

• In Form und Sprache wird ein gehobener und klassischer Stil angestrebt. Nicht die Alltäglichkeit oder einfache Verständlichkeit der Sprache ist maßgeblich sondern ihre Performativität. 

    Antike, ein mittelalterliches und klassisch-neuzeitliche Modelle dienen als Vorbild. 


Die vorgelegten Modelle orientieren sich in Form und Stil an den Musterfürbitten des römischen Missale (editio tertia von 2000 in der Ausgabe des Midwest theological Forum von 2007). Diese sind hier vollständig in eigener Übersetzung wiedergegeben („Missale Romanum / MR“).


Weitere Inhalte und Formulierungen stammen in weiten Teilen aus drei Vorlagen des 20. Jahrhunderts, die wiederum an antike und mittelalterliche Formen des Allgemeinen Gebets anknüpfen. In diesen Quellen zeigen sich zwar bereits Schwächen, die sich in der Folge zur oben beschriebenen Problematik ausgewachsen haben. Doch enthalten sie Schätze, die helfen können, den Fürbitten Form und Inhalt zu geben, da sie spirituell bereichern und ästhetisch erfreuen. Es sind:

    Gottesdienst. Werkbuch zum Laudate, hg. vom Bischof von Münster, 1955 („Gottesdienst“). Es ist verfaßt von dem münsterschen Professor für Liturgiewissenschaft Emil Josef Lengeling, der im Fürbitteil auf Vorlagen des Leipziger Oratoriums (Gebete in schwerer Zeit, Freiburg, Berlin 1940), Karl Borgmann (Parochia, Colmar o. J.) und Josef Gülden (Fürbittgebete, Freiburg 1950) zurückgreift. Diese Fürbitten folgen nicht dem uralten, im Missale Romanum Pauls VI. aufgegriffenen Schema des Allgemeinen Gebets (1) (1: für die Kirche; 2: für die Regierenden und das Heil der ganzen Welt; 3: für von jedweder Schwierigkeit Bedrückten; 4: für die örtliche Gemeinschaft) und sind hier dementsprechend ausgesucht und angepaßt. Die genannte Richtlinie des Missale hat gegenüber vielen älteren Fürbittmodellen den Vorteil, daß es objektive Maßstäbe bietet und so Einseitigkeiten, Subjektivismen und zu großen Selbstbezug verhindern hilft. 

    Das Gebet der Gläubigen. Fürbittenbuch, hg. vom späteren Abt Georg Holzherr OSB, Einsiedeln, Zürich, Köln 1966 („Das Gebet der Gläubigen“). Ihm verdankt der Verfassser vor allem den Rückgriff auf antike und mittelalterliche Sakramentare, was die Schlußorationen angeht, auch manche inhaltliche und stilistische Anregung und nicht zuletzt den Hinweis auf die altrömischen Fürbitten von Papst Gelasius. 

    Josef Gülden / Walter Krawinkel, Fürbittgebete. Modelle, Benziger / Herder 1972 („Fürbittgebete“). Auf diese an den Vorgaben des Missale Pauls VI. orientierten Vorschläge wird hier gelegentlich zurückgegriffen. 


Wo nicht anders vermerkt, stammen die Texte vom Verfasser und, wie er kaum zu hoffen wagt, vor allem vom Heiligen Geist. 


Die Orationen aus alten päpstlichen Sakramentaren sind möglichst eng am lateinischen Original neu übersetzt worden. Dadurch entstehen nicht „leicht eingängige“ sondern eher „herausfordernde“ Formulierungen, wie dies den römischen Orationen auch im lateinischen Original zu eigen ist. Sie sind in kunstvoller Sprache und hohem Stil formuliert, verwenden verschachtelte Satzgefüge, weiter und tiefer weisende Bezüge und bieten oft überraschende Wendungen. Nicht zuletzt bleibt oft das eigentlich Erbetene ungenannt oder verhüllt, wie z. B. bei der Oration des 30. Sonntag im Jahreskreis (Ordo Paulinus): „Damit wir erlangen können, was du verheißt, mach uns lieben, was du gebietest.“ Auf diese Weise wird das Gebet der Gläubigen nicht enggeführt, im Gegenteil: Es entstehen weite und wohltuende Freiräume zum Denken und Assoziieren. 


Die intentiones, die eigentlichen „Fürbitten“ (besser: Gebetsanliegen) folgen ebenfalls diesem Ziel, wenngleich sie wesentlich schlichter formuliert sind. Die Allgemeine Einführung ins Messbuch bestimmt: „Die vorgetragenen Anliegen sind schlicht, mit kluger Freiheit sowie mit wenigen Worten abzufassen und haben das Gebet der ganzen Gemeinschaft auszudrücken.“ (AEM 71) Angestrebt wird ein „kurzes und lauteres“ Gebet (vgl. die Regel des heiligen Benedikt 20, 4). Die Gebetsanliegen sind so offen formuliert, daß die Beter Weiteres mit einschließen können. Andererseits versuchen sie, ein Mindestmaß an Konkretheit zu wahren und so die Grenze zwischen Schlichtheit und Banalität nicht zu überschreiten. Änderungen und Hinzufügungen aus aktuellen Anlässen möglich, sollten sich aber erfahrungsgemäß auf herausragende Ereignisse und Anliegen beschränken. 


Die intentiones sind an das Volk gerichtetete Gebetsaufforderungen. Gott wird also nach dem Vorbild des Römischen Meßbuchs in der dritten Person genannt („Daß er...“) oder gedacht („um...“), so daß der Vorbeter die Gebetsanliegen sinnvoll am Ambo zum Volk gewandt vortragen kann, wie es das Meßbuch vorsieht (AEM 71). Dies wäre nicht gegeben, wenn die „Fürbitten“ selber Gebete wären („gib...“), da der Vorbeter am Ambo in der Regel mit dem Rücken zum Altar steht, was beim Beten „choreographisch“ sinnlos wäre. 


Der Priester steht nach AEM 71 zum Gebet der Gläubigen am Sitz. Von der Sprechrichtung her ist es auch sinnvoll, daß der Priester nach der Gebetseinladung vor den Altar tritt, wo er, zu diesem gewandt, gemeinsam mit dem Volk die Rufe und dann die Schlußoration betet. 


Auch die Kinderfürbitten wurden – abweichend von „Das Gebet der Gläubigen“ – grammatisch in der dritten Person formuliert, um die „Richtungsfrage“ nicht zum Problem werden zu lassen und die jungen Christen an die Normalform zu gewöhnen. Dies war dem Verfasser im Rahmen der hier vorgelegten Modelle das höhere Ziel gegenüber der (in der zweiten Person formulierten) leichteren Formulierbarkeit. Dafür kindgerechte Lösungen zu finden (Lesbarkeit, kurze Sätze, Vermeiden von Nominalisierungen und Abstrakta) mag nicht immer geglückt sein. Die Spannung zwischen liturgischem Ideal und praktischer Verständlich- und Durchführbarkeit ist hier besonders groß. Die zweite Reihe der Kinderfürbitten an Dreifaltigkeit ist daher in der zweiten Person gehalten; das höhere Ziel der dem Fest angemessenen Fürbitten wurde dem formalen Ideal vorgezogen. 


Alle Fürbittformulare sind mehrfach in der Praxis erprobt und haben von daher schon eine gewisse Läuterung durchlaufen. Sie wurden verfaßt und werden nun veröffentlicht mit dem Wunsch, der Kirche und ihrem Gebet im Hören auf ihre Tradition zu dienen – im Bewußtsein, daß sich der Einfluß persönlicher spiritueller Vorlieben nicht vermeiden ließ. Es wäre dem Verfasser eine Freude, wenn Leser Hilfreiches darin finden und aus ihren Erfahrungen heraus weitere Anregungen für das Allgemeine Gebet gäben. 


Dinslaken am Fest Apostelteilung, 15. Juli 2021, Ulrich Terlinden 

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(1) Vgl. Institutio Generalis Missalis Romani = Allgemeine Einführung bzw. Grundordnung des Römischen Meßbuches [AEM] 70; Vaticanum II, Sacrosanctum Concilium 53. 

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